Die Termiten-Gesellschaft

Termitenhügel in Kenia

Prof. Gui­do Gia­co­mo Pre­pa­ra­ta, sei­nes Zei­chens Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, im Inter­view mit der Ame­ri­can Herald Tri­bu­ne am 23. Juli 2017 – ins Deut­sche über­setzt von Dr. Burk­hard Luber und am 5. Dezem­ber 2019 in der Rubi­kon Welt­re­dak­ti­on ver­öf­fent­licht – Lese­zeit ca. 25 Minuten:

Die Termiten-Gesellschaft

Angloamerikanische Eliten wollen nicht nur die Weltgeschichte, sondern auch die Menschen nach ihrem Belieben beeinflussen.

Der Wirt­schafts- und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Prof. Gui­do Pre­pa­ra­ta ist nach mehr als 20-jäh­ri­ger For­schung über­zeugt: „Sie wol­len uns alle in eine glo­ba­le Gesell­schaft von Ter­mi­ten ver­wan­deln“. Mit ihm sprach Moh­sen Abdel­mou­men für die Ame­ri­can Herald Tri­bu­ne über die Rol­le, die anglo­ame­ri­ka­ni­sche Eli­ten bei Faschis­mus und impe­ria­li­sti­schen Krie­gen spiel­ten und spie­len. Prof. Pre­pa­ra­ta äußert im Gespräch sei­ne Sor­ge, dass sich die Lin­ke bereits auf die pro­ble­ma­ti­sche Dok­trin der Ato­mi­sie­rung und Ent­zwei­ung des Indi­vi­du­ums fest­ge­legt hat und hier­durch nur noch Schein­so­li­da­ri­tät mit den Armen und Unter­drück­ten praktiziert.

Moh­sen Abdel­mou­men: Ihr Buch „Con­ju­ring Hit­ler“ (1) erhielt eine loben­de Kri­tik von unse­rem Freund Peter Dale Scott. Dar­über hin­aus tei­le ich die Ansicht die­ses gro­ßen Intel­lek­tu­el­len, dass die­ses Buch für die Arbeit der histo­ri­schen For­schung von gro­ßer Bedeu­tung ist. Wie sind Sie zu den Schluss­fol­ge­run­gen gegen die Strö­mung des Histo­ri­ker-Estab­lish­ments gekom­men, dass Hit­ler von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Groß­bri­tan­ni­en gemacht wur­de und der Zwei­te Welt­krieg unver­meid­lich war?

Prof. Gui­do Pre­pa­ra­ta: Ich habe wie die mei­sten West­ler ange­fan­gen, deren Kind­heit von den typi­schen pro­pa­gan­di­sti­schen „Strö­mun­gen“ des Kal­ten Krie­ges durch­drun­gen war: pau­sen­los und enthu­sia­stisch epi­sche pro-alli­ier­te und anti­deut­sche Kriegs­fil­me anguckend. Mei­ne Eltern — Ita­lie­ner der Nach­kriegs­zeit — waren fest im pro-ame­ri­ka­ni­schen, pro-israe­li­schen und pro-kapi­ta­li­sti­schen Lager, und mein Vater, ein aka­de­mi­scher Phy­si­ker, war damals mili­tant anti­kom­mu­ni­stisch. Damit bin ich auf­ge­wach­sen. Wir waren begei­ster­te „Ame­ri­ka­ner“ und von der bri­ti­schen „Klas­se“ beein­druckt. Obwohl ober­fläch­lich stolz auf unser „klas­si­sches“, „grie­chisch-latei­ni­sches“ Erbe, lit­ten wir tief im Inne­ren unter dem typi­schen Min­der­wer­tig­keits­kom­plex der Ange­hö­ri­gen gei­stig besieg­ter, irrele­van­ter Länder.

Dann fiel die Ber­li­ner Mau­er, und die mei­sten von uns began­nen sich lang­sam aus einer Art Erstar­rung zu lösen. Als ich Mit­te der 1990er Jah­re anfing, bei der ita­lie­ni­schen Zen­tral­bank zu arbei­ten, ent­schied ich mich, in mei­ner Frei­zeit die Biblio­thek der Bank zu nut­zen, um die Finan­zie­rung der Nazis zu stu­die­ren, was ich als eso­te­ri­sches und exo­ti­sches The­ma ansah. Und ab da fing ich an, wei­ter zu gra­ben. Ich erin­ner­te mich an die Kriegs­fil­me, die ich als Kind gese­hen hat­te, mit der immer glei­chen Erzäh­lung und dem sprin­gen­den Punkt: Die Hand­lung beginnt, wenn die­se Mon­ster, zum Bei­spiel die SS, bereits voll aus­ge­bil­det sowie unge­mein grau­sam und bös­ar­tig sind. Das ist natür­lich gutes Kino, wirft aber auch viel grö­ße­re Fra­gen auf: Wie konn­te das pas­sie­ren? Wie ist die­ses Phä­no­men ent­stan­den? Wie hat die Welt das zuge­las­sen? Wie konn­te das sein?

Zehn Jah­re mei­nes Lebens ver­brach­te ich damit, dar­über zu lesen und nach­zu­den­ken. Ich habe Mate­ri­al und Archiv­do­ku­men­te in Deutsch­land und bei der Bank von Eng­land gesam­melt, mit Leu­ten, Exper­ten, Poli­ti­kern und so wei­ter gespro­chen. Das Ergeb­nis all des­sen ist „Con­ju­ring Hit­ler“ (auf Deutsch: Die Ein­schwö­rung Hitlers).

Was ich her­aus­fand: Obwohl das Phä­no­men des Natio­nal­so­zia­lis­mus selbst — sei­ne tie­fen, eso­te­ri­schen Wur­zeln — zwei­fel­los deutsch ist, müs­sen wir noch die poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen voll­stän­dig ver­ste­hen, unter denen er gezüch­tet, aus­ge­brü­tet und mei­nes Erach­tens zwei­fels­oh­ne von Groß­bri­tan­ni­en begün­stigt wur­de sowie in gerin­ge­rem Maße von den USA, wenn auch erst zu spä­te­rer Zeit und stets unter der unan­ge­foch­ten stra­te­gi­schen Füh­rung Großbritanniens.

War­um Groß­bri­tan­ni­en? Weil es der Herr der Welt war und in gewis­ser Wei­se immer noch ist. Dies war sei­ne Zeit. Es herrsch­te und tat anschei­nend alles in sei­ner Macht Ste­hen­de, die­se Macht zu bewah­ren. Wie wir alle wis­sen, fol­gen die USA heu­te ein­fach den geo­po­li­ti­schen Spu­ren des bri­ti­schen Empires.

War der Krieg unver­meid­lich? Ja, das war er: Als Deutsch­land 1900 glaub­te, die bri­ti­sche Vor­herr­schaft infra­ge stel­len zu kön­nen, muss­te Groß­bri­tan­ni­en ein­deu­tig han­deln. Und wenn es dazu kommt, dass durch eine geschick­te Stra­te­gie letzt­lich eine Vor­macht­stel­lung Deutsch­lands dazu hät­te füh­ren kön­nen, dass Russ­land für eine krie­ge­ri­sche und tech­no­lo­gi­sche Initia­ti­ve der „Ger­ma­nen“ hät­te genutzt wer­den kön­nen, dann kann man sich vor­stel­len, was für die bri­ti­schen Krei­se der ulti­ma­ti­ve geo­po­li­ti­sche Alb­traum war: eine „Eura­si­sche Alli­anz“. Die wäre de fac­to unbe­sieg­bar gewe­sen. Und das Gemet­zel in der ersten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts ist die Chro­nik der Prä­emp­ti­on, die die Bri­ten in Gang set­zen „muss­ten“, um die Ver­wirk­li­chung die­ses Sze­na­ri­os zu vermeiden.

„Sie“ (die Bri­ten, Anmer­kung des Über­set­zers) sagen: Als sie zwi­schen 1890 und 1900 anfin­gen los­zu­le­gen, war Deutsch­land krie­ge­risch, mili­ta­ri­stisch, aggres­siv und impe­ria­li­stisch. Abso­lut. Und Groß­bri­tan­ni­en, darf ich hin­zu­fü­gen, tau­send­mal mehr. Deutsch­land woll­te 1914 einen „schnel­len Krieg“, um das schein­bar mit­tel­eu­ro­päi­sche König­reich mit kolo­nia­len Anhän­gen zu festi­gen. Es bekam statt­des­sen den bri­ti­schen Krieg: den Gro­ßen Krieg.

Sie wei­sen klar Hit­lers Ver­bin­dun­gen zu den herr­schen­den Klas­sen in Groß­bri­tan­ni­en und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten nach. Sie kon­zen­trie­ren sich jedoch auf die Rol­le Groß­bri­tan­ni­ens. Kön­nen Sie uns erklä­ren warum?

Aus den gera­de erklär­ten Grün­den. In den ver­gan­ge­nen 200 Jah­ren wird spe­zi­ell in Eng­land das Spiel gespielt, nir­gend­wo sonst.

Wie erklä­ren Sie sich, dass die­se bei­den Mäch­te, die Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Groß­bri­tan­ni­en, die den Natio­nal­so­zia­lis­mus finan­zier­ten und unter­stütz­ten, über Hol­ly­wood eine Pro­pa­gan­da­ma­schi­ne ent­wickel­ten, die ihnen die beste Rol­le gibt, indem sie sie als Nazi-Fein­de zeigt?

Nun, als in den Jah­ren 1916 bis 1917 die Ost­front infol­ge Russ­lands Treue­bruch (in Bezug auf die Tri­ple Entente, Anmer­kung des Über­set­zers) fiel, brach­te Eng­land die USA ins Spiel. Schließ­lich ergab sich Deutsch­land, das sich über­wäl­tigt fühl­te — denn der Erste Welt­krieg kam im Wesent­li­chen einer Bela­ge­rung gleich, einer Bela­ge­rung Deutsch­lands. Das bedeu­te­te, dass es nicht auf sei­nem eige­nen Boden besiegt wor­den war. Mit ande­ren Wor­ten, die deutsch-eura­si­sche Bedro­hung war nicht ein für alle Mal besei­tigt wor­den. Zu die­sem Zweck begann ein Vor­ha­ben, das im Wesent­li­chen 20 Jah­re dau­er­te; und der Plan war: 1) Deutsch­land neu zu gestal­ten — wirk­lich „neu auf­zu­stel­len“ — und 2) es erneut in einem Zwei­fron­ten­krieg zu zerstören.

Dass dies tat­säch­lich geplant war, zeigt die bemer­kens­wer­te Pro­gno­se von Thor­stein Veblen aus dem Jahr 1920, nach der die wah­re Absicht des Ver­sailler Ver­trags dar­in bestand, ein reak­tio­nä­res Régime in Deutsch­land durch eine Radi­ka­li­sie­rung der Mit­tel­klas­se vor­an­zu­trei­ben und schließ­lich die­se neue Kraft gegen die Sowjet­uni­on frei­zu­set­zen — eine Vor­her­sa­ge, die im Juni 1941 ein­trat. Das ist sen­sa­tio­nell. Mei­nes Wis­sens bin ich der Ein­zi­ge, der den Mut hat­te, die­se ein­zig­ar­ti­ge, genia­le Argu­men­ta­ti­on zu zitieren.

Aber die Din­ge ent­wickel­ten sich vehe­men­ter, als es selbst ein Genie wie Veblen vor­her­se­hen konn­te. Die Bewe­gung, deren Auf­stieg er pro­phe­zei­te, war nicht nur „reak­tio­när“: Sie war etwas völ­lig Neu­es, ande­res, unheim­li­che­res und teuf­li­sche­res. Die Nazis schluck­ten die alte mon­ar­chi­sti­sche Gar­de, die 1932 weni­ger als 10 Pro­zent der Stim­men der Bevöl­ke­rung auf sich vereinte.

Und was die Dämo­ni­sie­rung des besieg­ten Fein­des anging, hät­ten die Deut­schen Anglo­ame­ri­ka kein glor­rei­che­res Geschenk machen kön­nen: Es ist, als ob sie sich unent­gelt­lich und fol­gen­schwer als der Anti­christ dar­stell­ten. Umge­kehrt bedeu­te­te dies, dass die anglo­ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen und Kom­man­deu­re die Legio­nen Got­tes sein mussten.

Letz­te­re waren auch die Tech­no­rit­ter von Hiro­shi­ma, wie ich sie ger­ne nen­ne, und ich bin mir nicht sicher, was Gott damit zu tun hat. Ich sehe eher die Fuß­spu­ren des Teu­fels über­all.

Wie dem auch sei, zu die­sem Zeit­punkt hat­ten die Sie­ger die kraft­voll­ste Erzäh­lung, den stärk­sten mili­tan­ten Mythos, den man sich vor­stel­len konn­te: das heißt, die Ver­nich­tung der dämo­ni­schen Nazis als eine von Gott gege­be­ne, offen­kun­di­ge Aner­ken­nung ihrer — der Alli­ier­ten — gei­sti­gen Über­le­gen­heit, ihres ver­dien­ten Tri­um­phes. Im mytho­lo­gi­schen Namen füh­ren sie bis heu­te unge­straft Krie­ge in aller Welt. Für Men­schen­rech­te, Demo­kra­tie und Frie­dens­si­che­rung, wie „sie“ sagen.

Die­ses Nar­ra­tiv ist das wun­der­bar­ste Stück pro­pa­gan­di­sti­schen Kapi­tals, das man besit­zen kann: Es erbrach­te und erbringt immer noch phä­no­me­na­le Renditen.

Jeder Ver­such, es zu „über­ar­bei­ten“, wird mit der hef­tig­sten und kate­go­risch­sten Bestra­fung bedacht. Und alle histo­ri­schen Bewei­se, die dage­gen spre­chen, wer­den natür­lich auf eine Wei­se unter­drückt oder „inter­pre­tiert“, die mit der offi­zi­el­len Fas­sung übereinstimmt.

Ihr Buch „Die Ideo­lo­gie der Tyran­nei“ (2) erklärt die Arbeit von Michel Fou­cault, den Post­mo­der­nis­mus, Geor­ge Batail­le und sei­ne Anhän­ger, erin­nert aber auch an den Bank­rott der Lin­ken. Führt die­se Syn­the­se, die Sie auf­ge­stellt haben, nicht zu einem Unter­gang, das heißt zu einem Krieg, sogar zum Ende der Menschheit?

„Ende der Mensch­heit“ klingt dra­ma­tisch und erschreckend. Aber in gewis­ser Wei­se ja: Ich den­ke, sie wol­len uns alle in eine glo­ba­le Gesell­schaft von Ter­mi­ten ver­wan­deln. Und sie haben Erfolg.

Kön­nen Sie unse­ren Lesern Ihr Kon­zept der „Tech­no­struk­tur“ erläutern?

Das Kon­zept ist nicht ori­gi­nal. Es fin­det sich bei einer Viel­zahl von Autoren, die die Auto­ma­ti­sie­rung der Gesell­schaft in den 1960er und 1970er Jah­ren beschrie­ben haben.

Es ist all­ge­mein aner­kannt, dass die mei­sten unse­rer sozia­len Inter­ak­tio­nen von „Struk­tu­ren“ — Unter­neh­men, Mini­ste­ri­en, Orga­ni­sa­tio­nen und so wei­ter, ganz sicher aber nicht vom „Markt“ — ver­wal­tet wer­den und die­se durch­lau­fen. Man geht heut­zu­ta­ge davon aus, dass der Markt für nicht mehr als cir­ca 20 Pro­zent aller wirt­schaft­li­chen Trans­ak­tio­nen ver­ant­wort­lich ist. Die „Tech­no­struk­tur“ ist das, was in der Pop-Iko­no­gra­fie als „Matrix“ bekannt ist: ein rie­si­ger, see­len­lo­ser Appa­rat der sozia­len Koor­di­na­ti­on, der über „links“ und „rechts", „öffent­lich“ und „pri­vat“ hin­aus­geht und ver­sucht die Mensch­heit zu kon­trol­lie­ren, in der Tat wie einen Ter­mi­ten­hü­gel, einen Amei­sen­hau­fen, einen Bienenstock.

Die Tech­no­struk­tur sehe ich jedoch nicht wie die post­mo­der­ne Lin­ke: als eine Art kopf­lo­ses Mon­ster, das aus dem Nichts auf­ge­taucht ist und durch eine kol­lek­ti­ve und unbe­wuss­te Hal­lu­zi­na­ti­on lebt und atmet. Ich fin­de die­se Inter­pre­ta­ti­on — à la Jean Bau­dril­lard — als post­mo­der­nen Quatsch in dem Sin­ne, dass sie dis­kur­si­ve Tricks — psy­cho­lo­gi­sche Meta­phern — ver­wen­det, um poli­ti­sche Miss­stän­de zu ver­ber­gen, das heißt, die — kri­mi­nel­le — Ver­ant­wor­tung derer, die für die Matrix selbst ver­ant­wort­lich sind — die Eli­ten. Es ist ein kor­rup­ter und kor­rum­pie­ren­der Dis­kurs. Ich sehe die Tech­no­struk­tur als eine bewuss­te Ent­wick­lung der Hier­ar­chien der Macht in unse­rer hyper­mo­der­nen Ära, die von einer spe­zi­fi­schen Füh­rung — den anglo­ame­ri­ka­ni­schen Wei­ßen der Metro­po­len und ihren euro­päi­schen Vasal­len — bestimmt wird, die genau wis­sen, was sie tun und wie sie es tun.

Wie erklä­ren Sie die Ent­ste­hung von LGBT-Per­so­nen, und was ist das ober­ste Ziel die­ser Organisation?

Die­sem The­ma habe ich einen zwei­tei­li­gen Bei­trag in mei­nem Blog Ad Tria­ri­os gewid­met. Auf ihn möch­te ich den Leser direkt hin­wei­sen; dort dis­ku­tie­re ich die­ses wich­ti­ge The­ma ausführlich.

Im Wesent­li­chen ist die Geschich­te, wie ich sie sehe, so:

Um die Kon­trol­le über die Gesell­schaft zu festi­gen, müs­sen die Macht­ha­ber einer­seits die Kon­trol­le ver­schär­fen und ande­rer­seits jeg­li­chem — intel­lek­tu­el­len und affek­ti­ven — Wider­stand vorbeugen.

Die­se Art von Ope­ra­tio­nen, die sie täg­lich vor­neh­men, wird, wie wir wis­sen, an vie­len Fron­ten durch­ge­führt: Kon­trol­le über Mei­nun­gen und Wün­sche, Pro­pa­gan­da, Erzäh­lun­gen und so wei­ter sowie natür­lich wirt­schaft­li­che Kon­di­tio­nie­run­gen aller Art.

Es scheint, dass das alte patri­ar­cha­li­sche Modell des männ­li­chen Brot­ver­die­ners, der genug ver­dient, um bequem eine vier- oder fünf­köp­fi­ge Fami­lie zu ernäh­ren — der alte Mit­tel­klas­se­stan­dard —, obwohl unter­wür­fig und geschmei­dig, als nicht völ­lig ver­läss­lich und kon­trol­lier­bar erach­tet wer­den muss­te: Trotz aller Zwän­ge schien der Kern der Mit­tel­schicht immer noch „zu viel“ Unab­hän­gig­keit zu genie­ßen — sowohl finan­zi­ell als auch geistig.

Also muss­ten sie die­se Vor­la­ge irgend­wie rück­gän­gig machen. Dies nahm eini­ge Zeit in Anspruch, da es sozi­al stark vom Image des „Machos“ abhing. Offen­sicht­lich bedeu­te­te die­se gesell­schaft­li­che Neu­ge­stal­tung den Kern der Fami­lie selbst zu schwä­chen. Der Macho hat sei­nen Zweck erfüllt; es ist jetzt Zeit, ihn weg­zu­wer­fen, zu ver­schrot­ten; und das System tut dies, indem es ihn öffent­lich in einem gro­ßen Spiel des dis­kur­si­ven Ter­rors opfert.

Sie füh­ren ihre Kam­pa­gnen immer mit gro­ßer Geschick­lich­keit durch, indem sie rea­le, greif­ba­re Funk­ti­ons­stö­run­gen aus­nut­zen, wie zum Bei­spiel den unter­wür­fi­gen, halb­hal­lu­zi­nier­ten, müßi­gen und oft ernied­rig­ten Sta­tus von Frau­en unter die­ser macho­ch­i­sti­schen Vor­mund­schaft — eine unech­te Wer­bung für die sexi­sti­schen Kli­schees der 1950er Jah­re ist typisch dafür. Sie nut­zen rea­le Pro­ble­me, um in ver­zerr­ter Wei­se eine völ­lig ande­re Agen­da zu för­dern, die nichts mit der gei­sti­gen Unzu­frie­den­heit von Frau­en zu tun hat, aber dazu ange­tan ist, sie zu manipulieren.

Jetzt hat­ten sie also Femi­nis­mus. Das Ergeb­nis war jedoch, dass Frau­en nicht im gering­sten „eman­zi­piert“ waren, wie es ihnen „ver­spro­chen“ wor­den war: Sie ver­lie­ßen das hal­lu­zi­nier­te Ein­ge­sperrt­sein in der Küche, nur um mit ihren Ehe­part­nern die glei­chen geist­tö­ten­den Arbei­ten für weni­ger Lohn zu ver­rich­ten und um zusam­men die Steu­er­erklä­rung ein­zu­rei­chen mit ins­ge­samt weni­ger Lohn für beide.

Und jetzt haben sie weni­ger Geld, mehr Sor­gen und den glei­chen wach­sen­den Stress, der bei­de Eltern­tei­le trifft.

In den 1980er Jah­ren wand­ten sie die­sen Trick auf die „Ras­se“ an. Die USA sind ein durch und durch ras­si­sti­sches Land, das offen­bar nicht bereit ist, sich von die­ser psy­chi­schen Krank­heit zu hei­len. Anstatt das Pro­blem direkt anzu­ge­hen, ent­wickel­ten die Pro­pa­g­an­da­chefs ein ein­fa­ches dis­kur­si­ves Mit­tel, um das Pro­blem zu the­ma­ti­sie­ren und zu unter­drücken: über ein Régime des dis­kur­si­ven Ter­rors und der Zen­sur, das „poli­ti­sche Kor­rekt­heit“ heißt und von den Wei­ßen strikt durch­ge­setzt wur­de. Sie ver­bo­ten ein­fach und ver­bann­ten aus der Spra­che so alle Wör­ter und Aus­drücke, die als „ras­si­stisch“ aus­ge­legt wer­den könnten.

Sozi­al und wirt­schaft­lich änder­te sich nichts, durf­te sich nichts ändern im „Ghet­to“ — ein Wort, das in die­sem Zusam­men­hang auch ver­bo­ten wurde.

Der beste Weg, um die sozia­le Ord­nung intakt und unver­än­der­lich zu hal­ten und den Waf­fen­still­stand mit Nicht­wei­ßen in Ame­ri­ka — ins­be­son­de­re mit Schwar­zen — auf­recht­zu­er­hal­ten, besteht des­halb dar­in, die­sen Neu­sprech zu nut­zen, um sie statt­des­sen zu loben und damit jede Äuße­rung zu ver­schlei­ern. Die Heu­che­lei und die Unwirk­lich­keit die­ses Arran­ge­ments sind bei den letz­ten US-Wah­len sehr mar­kant her­vor­ge­tre­ten, aber das sozia­le Phä­no­men hat sich schon seit mehr als 30 Jah­ren mit außer­ge­wöhn­li­chen und weit­rei­chen­den Ergeb­nis­sen zusammengebraut.

Was die­se dis­kur­si­ve Poli­tik und Tech­nik­ef­fek­te bewir­ken, ist bemer­kens­wert: Einer­seits erhal­ten sie den Sta­tus quo ante, ande­rer­seits füh­ren sie aber auch zu zwei wei­te­ren ent­schei­den­den Situa­tio­nen: 1) Sie spal­ten das Volk — Mann gegen Frau, Schwarz gegen Weiß — und 2) vor allem pro­pa­giert es zudem eine voll­kom­me­ne Fake-Wirt­schaft, in die wir impli­zit durch — pre­kä­re — Arbeit und Gehirn­wä­sche in die Struk­tur selbst ein­ge­bun­den wer­den. Wenn über­all Arbeits­platz­un­si­cher­heit, Auf­tei­lung, Miss­trau­en und Spal­tung herrscht, dann kann sich der „Staat“ mit sei­nen Ras­sen­quo­ten — För­der­maß­nah­men zugun­sten benach­tei­lig­ter Per­so­nen — und gro­ßen fei­er­li­chen Pro­kla­ma­tio­nen des Respekts vor dem Anders­sein und der Ver­schie­den­ar­tig­keit als ein­zi­ger Anker der Erlö­sung aufspielen.

Damit schließt sich der Kreis: Mit der Unter­gra­bung des fami­liä­ren Kerns und der Ver­wal­tung von Jobs mit einer Pipet­te nähern wir uns lang­sam, aber sicher einem Modell der Insektengesellschaft.

Das letz­te, wenn auch nicht das unbe­deu­tend­ste Stück Tech­nik in die­sem mecha­ni­schen Puz­zle dreht sich um das The­ma Auf­zucht und Sex– oder „Geschlecht“, wie heut­zu­ta­ge die übli­che Dik­ti­on ist. Daher all die­se außer­ge­wöhn­li­che Beto­nung auf Abtrei­bung, ins­be­son­de­re in den USA. Es geht um die ganz fei­ne Ver­wal­tung der Funk­ti­ons- und Res­sour­cen­zu­wei­sung inner­halb des mensch­li­chen Amei­sen­hau­fens. Da der Kre­dit zen­tra­li­siert ist und nichts wirk­lich dem Zufall über­las­sen wird, ist das The­ma Auf­zucht und Sex für die Tech­no­struk­tur von größ­ter Bedeutung.

Und damit kommt die­se LBGT-Bewe­gung ins Spiel. Es ist nur der neue­ste Akt in die­ser groß­ar­ti­gen dis­kur­si­ven Pro­duk­ti­on von „Viel­falt“. Dahin­ter stecken gro­ße finan­zi­el­le Inter­es­sen und gro­ßes Geld, das ist klar. Warum?

War­um soll­ten die Éli­te-Wei­ßen, die bekann­ter­ma­ßen die ras­si­stisch­sten, sexi­stisch­sten und homo­phob­sten Men­schen auf dem Pla­ne­ten sind, plötz­lich eine so abson­der­li­che Sor­ge um das bür­ger­li­che Schick­sal, um die soge­nann­ten „Rech­te“ von Homo­se­xu­el­len und Trans­se­xu­el­len befal­len — als ob gar nichts sonst zählt am lin­ken Ende des poli­ti­schen Spek­trums? Es scheint absurd.

Und der ein­zi­ge Grund für die­se ein­häm­mern­de Pro­pa­gan­da ist, den­ke ich, auf das Den­ken der Men­schen ein­zu­wir­ken — so wie es den wei­ßen Män­nern, die für die­ses Spiel ver­ant­wort­lich sind, gelun­gen ist, die Men­schen dazu zu brin­gen, zu beken­nen, dass wei­ße Män­ner die schreck­lich­ste Ras­se auf dem Pla­ne­ten sei­en (erstaun­lich wie sie das geschafft haben) —, dass „Geschlecht“ ein (phallok­ra­ti­sches) Kon­strukt ist und daher auch „die Fami­lie“ und die Auf­zucht­rol­le bei­der Geschlechter.

Was das System will, sind ase­xu­el­le oder sexu­ell aus­tausch­ba­re mensch­li­che Lar­ven, die sich nach Belie­ben in Arbei­ter, Krie­ger und/​oder Züch­ter ver­wan­deln können.

Frau­en spie­len zum Bei­spiel heu­te eine her­aus­ra­gen­de Rol­le in der ober­sten Füh­rungs­ebe­ne des US-Mili­tärs, und vor einem Jahr hob das ober­ste Kom­man­do das Ver­bot von Trans­se­xu­el­len in der US-Armee auf. Quod erat demon­stran­dum — Was zu bewei­sen war.

Somit ist das tech­no­struk­tu­rel­le „Geschlecht“ eine dis­kur­si­ve Nah­rung für die Mas­sen, die auf eine ord­nungs­ge­mä­ße Regle­men­tie­rung im Bie­nen­stock war­ten. An der Spit­ze der euge­ni­sier­ten Eli­ten kann das patri­ar­cha­li­sche Macho-Modell — mög­li­cher­wei­se mit eini­gen Modi­fi­ka­tio­nen — bei­be­hal­ten wer­den, da sie die Din­ge immer wei­ter­hin auf kon­ven­tio­nel­le Wei­se feu­dal den­ken und handhaben.

Das The­ma Gewalt ist in Ihren Wer­ken sehr prä­sent und reicht vom Natio­nal­so­zia­lis­mus bis hin zu impe­ria­li­sti­schen Krie­gen und wei­ter. Was ist Ihrer Mei­nung nach der beste Weg, um einen gewalt­tä­ti­gen Pro­zess zu unterbrechen?

Ja, ich bin sehr dar­auf fixiert auf das, was Tol­stoi „Gesetz der Gewalt“ nannte.

Wie kann man es los­wer­den? Sehr schwie­ri­ge Frage.

Ich habe seit eini­ger Zeit das Stu­di­um ver­schie­de­ner neu­er Gebie­te — Kri­mi­nal- und Sozi­al­psy­cho­lo­gie, Zoo­lo­gie und Ento­mo­lo­gie sowie bud­dhi­sti­sche Erkennt­nis­theo­rie — in Angriff genom­men, um ein wenig zu ver­ste­hen, wie unse­re Psy­che funk­tio­niert, was Bewusst­sein ist; wie wir Lust erzeu­gen und wie Hyp­no­se in all das hin­ein­spielt. Ich habe gera­de erst begon­nen. Ich hof­fe, ich wer­de bald genug halb­wegs befrie­di­gen­de Ant­wor­ten haben.

Als vor­läu­fi­ge Ant­wort auf die­ses wich­ti­ge The­ma, ins­be­son­de­re ange­sichts des tief grei­fen­den Ein­flus­ses, den Veblens Theo­rie der fei­nen Leu­te auf mich aus­ge­übt hat, nei­ge ich zu der Über­zeu­gung, dass wir uns tren­nen, uns los­lö­sen müs­sen von allen Über­bleib­sel unse­rer psy­chi­schen „Chas­sis“, von irgend­ei­ner ange­sam­mel­te Schicht des­sen, was Veblen als „bar­ba­ri­sche Züge" bezeich­net hat. Dies sind Mani­fe­sta­tio­nen, Arten einer räu­be­ri­schen Denk­wei­se. Eine Denk­wei­se, die cha­rak­te­ri­siert ist durch eine bestän­di­ge, fort­wäh­ren­de Nei­gung, ande­ren „zuvor­zu­kom­men“, sie zu schi­ka­nie­ren, ent­we­der bru­tal oder auf sub­ti­le psy­cho­lo­gi­sche Wei­se; sie aus dem Weg zu räu­men; sie aus­beu­ten (natür­lich die Arbeit ande­rer), in clan­mä­ßig aus­schlie­ßen­den Begrif­fen zu den­ken; jeman­den zu jagen, den der Geist als schwach empfindet.

Auf den ersten Blick mögen die­se Defi­ni­tio­nen banal und mora­lisch klin­gen, dem ist aber nicht so. Wenn man dar­über nach­denkt, wird man fest­stel­len, dass die inne­ren hier­ar­chi­schen Struk­tu­ren unse­rer Gesell­schaft größ­ten­teils — viel­leicht sogar voll­stän­dig — in die­ser Rich­tung orga­ni­siert sind.

Die über­wie­gen­de Mehr­heit von uns lernt schon in jun­gen Jah­ren, nicht so sehr zu koope­rie­ren als viel­mehr, sich eine Posi­ti­on der Pri­vi­le­gie­rung zu sichern. Den­ken Sie bei­spiels­wei­se dar­an, wie stolz all die Eltern sind — alle die­se Müt­ter und Väter, die Zehn­tau­sen­de von Dol­lar für aka­de­mi­sche Aus­bil­dung aus­ge­ge­ben haben — ihre Kin­der sind pre­sti­ge­träch­tig aufgestellt.

Aber kann man wirk­lich dar­auf stolz sein? Dass es dei­nen Kin­dern beharr­lich gelun­gen ist, viel Geld zu ver­die­nen? Das ist gut; ja, das kann nicht jeder. Aber was ist mit Schön­heit, der Her­stel­lung schö­ner Din­ge? Was ist mit Koope­ra­ti­on oder Frieden?

Im Ren­nen der Rat­ten bemü­hen wir uns, etwas für uns und unser Selbst und für eine Posi­ti­on in den „Inter­es­sen­bin­dun­gen“ zu „erlan­gen“. Der Rest soll sich um sich sel­ber küm­mern und/​oder in der Höl­le ver­rot­ten — ist uns doch egal.

Es ist die­se psy­chi­sche „Soft­ware“, die man kom­plett aus dem Wahr­neh­mungs­ap­pa­rat ent­fer­nen muss — durch eine gedul­di­ge Umer­zie­hungs­ar­beit, durch eine Neu­ge­stal­tung der Schul­lehr­plä­nen, bei denen die Schwer­punk­te ver­scho­ben, neue The­men ein­ge­führt wer­den müs­sen — zum Bei­spiel das obli­ga­to­ri­sche Stu­di­um von Musik und Har­mo­nie von der ersten bis zur letz­ten Klas­se — und für die ein all­ge­mei­ner Ansatz zum Ler­nen und Tun ent­wickelt wer­den sollte.

Es ver­steht sich von selbst, dass eine sol­che Über­ar­bei­tung des Bil­dungs­sy­stems mit einer umfas­sen­den Erneue­rungs­be­we­gung in der Gesell­schaft selbst und ins­be­son­de­re im Wirt­schafts­be­reich — Reform des Geld­we­sens, bio­lo­gi­sche Land­wirt­schaft, Vege­ta­ris­mus und so wei­ter — ein­her­ge­hen sollte.

Sie haben das Ter­ro­ris­mus-Phä­no­men unter­sucht. Glau­ben Sie nicht, dass der Ter­ro­ris­mus von Daesh und Al Qai­da, der von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Groß­bri­tan­ni­en finan­ziert und unter­stützt wird, in der Kon­ti­nui­tät des Natio­nal­so­zia­lis­mus liegt, da er den­sel­ben Inter­es­sen dient wie die des US-Impe­ria­lis­mus und sei­ner bri­ti­schen, fran­zö­si­schen und euro­päi­schen Verbündeten?

In gewis­sem Sin­ne ja. Natür­lich sind Nazis­mus und isla­mi­sti­scher Ter­ro­ris­mus sehr unter­schied­li­che Enti­tä­ten, aber ich neh­me an, man könn­te Nazi­deutsch­land als eine rie­si­ge natio­na­le ter­ro­ri­sti­sche Bewe­gung auf­fas­sen, die letzt­end­lich dazu dien­te, Ereig­nis­se in eine bestimm­te Rich­tung zu „pushen“, um ande­re Reak­tio­nen aus­zu­lö­sen, die letzt­end­lich das Pro­blem zugun­sten der Mani­pu­la­to­ren — wofür per defi­ni­tio­nem genau der Ter­ro­ris­mus erfun­den wur­de — lösen wür­de. Der Haupt­un­ter­schied besteht in die­sem Fall dar­in, dass Deutsch­land eine „ter­ro­ri­sti­sche Nati­on“ war und die isla­mi­sti­schen Grup­pen statt­des­sen Kräf­te poli­ti­scher Gewalt sind, die sich Inner­halb der Gren­zen „bewe­gen“, was heu­te sprich­wört­lich als „lose Netzwerke“bekannt ist. Die Ana­lo­gie ist ins­ge­samt gerecht­fer­tigt, den­ke ich.

Wie erklä­ren Sie das völ­li­ge Feh­len einer star­ken anti­im­pe­ria­li­sti­schen Bewe­gung in einer Zeit, in der der Impe­ria­lis­mus Län­der und Natio­nen zer­bre­chen lässt? Wo ist der Wider­stand gegen den Impe­ria­lis­mus geblieben?

Mit die­ser Fra­ge habe ich mich seit 9/​11 selbst andau­ernd aus­ein­an­der­ge­setzt. „Sie“ haben die Din­ge so arran­giert, dass du dir die Zäh­ne an einer Wand aus­schla­gen wirst, es sei denn, du könn­test kon­se­quent nach­wei­sen, dass alle aus­lö­sen­den Vor­fäl­le und Krie­ge — zumin­dest syste­ma­tisch seit der Zeit des Kal­ten Krie­ges, aber auch schon vor­her — gefälscht und insze­niert sind — auf bei­den Sei­ten —, das heißt, wenn du die Träg­heit, Angst und aber­gläu­bi­schen Loya­li­tä­ten der Men­schen über­win­den könntest.

Sie wer­den nicht auf dich hören. Sie wer­den dich als Spin­ner, einen Ver­schwö­rungs­idio­ten oder was auch immer bezeichnen.

Den­ken Sie an den ersten Golf­krieg, an den zwei­ten Irak­krieg, aber auch an den Zwi­schen­fall im Golf von Ton­kin, an Pearl Har­bor oder den „Sitz­krieg“ von 1940, die „Schau­pro­zes­se“ von Sta­lin und so wei­ter. Es geht immer wie­der um „Büh­nen­auf­trit­te“ und Theatralik.

Und dann gibt es noch die „Mas­se“, näm­lich uns. Offen­sicht­lich wol­len wir nur wei­ter­kom­men, essen, trin­ken und fröh­lich sein. Ehr­lich gesagt, wer möch­te schon fünf oder mehr Stun­den am Tag damit ver­brin­gen, alte Nach­rich­ten zu lesen und dies, das oder jenes bloß zu stellen?

Und doch füh­len sich vie­le von uns dazu gezwungen.

Im All­ge­mei­nen wol­len die Men­schen Arbeits­platz­si­cher­heit und ein Leben in Frie­den. Es ist schwer, sei­nen Lebens­un­ter­halt zu ver­die­nen, ganz zu schwei­gen davon, wenn man Kin­der hat. Und oben­drein muss man sich Sor­gen machen, durch „Staats­in­ter­es­sen“ betro­gen zu wer­den, an die Exi­stenz ver­schie­de­ner „Fein­de“ zu glau­ben, in den Krieg zu zie­hen, die „fal­sche“ Art von Krieg zu füh­ren, Lebens­mit­tel zu kau­fen, die Gift sind und so wei­ter. Und es ist schwie­rig, weil die über­wie­gen­de Mehr­heit von uns gründ­lich vom System abhän­gig ist.

Wie lei­stet man Wider­stand? Zu wel­chem Preis? Und wofür? Du pro­te­stierst gegen Unge­rech­tig­keit, du zeigst Trotz, du stellst bloß — gewalt­frei, ver­steht sich. Gut. Wie vie­le wer­den auf­ste­hen und dir fol­gen, um gewalt­los zu pro­te­stie­ren? Wie vie­le wer­den sich erhe­ben und wel­chen Ein­fluss wer­den sie haben? Was wird das alles am Ende zu bedeu­ten haben? Ich für mei­nen beschei­de­nen Teil habe ver­sucht, Unwahr­hei­ten und Unge­rech­tig­kei­ten anzu­pran­gern; in hic et nunc — im Hier und Jetzt — blieb ich immer wie­der völ­lig allein.

Übri­gens singt Pop­star Sheryl Crow in einem ihrer Songs über einen „All-Ame­ri­ka­ni­schen Rebel­len“. Und ich fra­ge mich: Was ist ein „All-Ame­ri­ka­ni­scher Rebell"? Ich habe noch nie einen gese­hen, gehört oder über einen gele­sen. Wo gibt es „Rebel­li­on" in den USA oder anders­wo? Wo sind die — poli­ti­schen — Hel­den? Was machen Hel­den wirk­lich? Was bedeu­ten sie über­haupt in der Pop-Iko­no­gra­fie? Brau­chen wir eigent­lich Hel­den? Und wenn ja, um was genau zu erreichen?

Und wer sagt im Übri­gen, dass dein durch­schnitt­li­cher Mann oder dei­ne durch­schnitt­li­che Frau rebel­lie­ren will, auch wenn er oder sie einen Teil des­sen, was ihm/​ihr erzählt wird, nicht glaubt?

Es gibt wie­der die­se bar­ba­ri­sche Denk­wei­se, die ver­hin­dert, dass man die Din­ge so sieht, wie sie sind. Wenn in dei­nem gan­zen Leben Pri­vi­le­gi­en dein Ziel sind — und für 99 Pro­zent aller Men­schen sind sie das —, wirst du an einen bestimm­ten Lebens­stil gebun­den, einen bestimm­ten Modus viven­di; du wirst abhän­gig von der Struk­tur; du wirst zwangs­läu­fig ihr gegen­über loy­al werden.

In mei­nem kur­zen Essay „Tech­no­struk­tur“ (3) habe ich in der Tat ein­ge­räumt, dass es nicht weni­ger wahr ist, dass das domi­nan­te Gefühl in der Mas­se oft weni­ger eine trot­zi­ge Empö­rung ist, als viel­mehr ein Gefühl des fru­strier­ten Man­gels an Iden­ti­tät, an Lebens­zweck. Jeder möch­te Chef sein, jeder ein Stück einer Hol­ly­wood-Action, jeder will berühmt sein, jeder will Anhän­ger, Grup­pen und Freun­de, jeder möch­te Gla­mour, einen durch­trai­nier­ten Kör­per und einen modi­schen Lebens­stil, jeder möch­te Teil der gro­ßen Macht-Erzäh­lung sein.

Veblen sag­te es wie­der ein­mal: Die unte­ren Schich­ten der Gesell­schaft sind hyper­kon­ser­va­tiv. Sie wer­den pro­te­stie­ren, wenn sie ver­hun­gern, sonst ist es unwahr­schein­lich, denn ihre men­ta­len Pro­zes­se sind auf­grund der gei­sti­gen Schwä­chung, der sie stän­dig aus­ge­setzt sind, im Wesent­li­chen barbarisch.

Zusam­men­ge­fasst unter­schei­den sich die Reak­tio­nen des Vol­kes ent­spre­chend der sozia­len Schicht, in der die Men­schen leben.

Im Prin­zip kann Dis­sens, wenn über­haupt, nur in der Mit­tel­schicht ent­ste­hen. Die obe­ren Mit­tel­schich­ten und die hyper­mo­der­nen Ari­sto­kra­tien sind an der Macht: Ihre Auf­ga­be ist es, dem Wan­del zu wider­ste­hen. Von den unte­ren Klas­sen haben wir bereits gesprochen.

Wenn du zur Mit­tel­schicht gehörst, zur Intel­li­genz, kannst du dir Wider­spruch nur lei­sten, wenn du einen rei­chen Hin­ter­grund hast, der es dir ermög­licht, dich von bar­ba­ri­scher Ver­schleie­rung zu befrei­en — durch gute Erzie­hung, Stu­di­um und gute Leh­rer —, was dir die Frei­heit und finan­zi­el­le Bequem­lich­keit gibt, zu den­ken und zu sagen, was du wirk­lich glaubst. Wir spre­chen hier von einer sehr klei­nen Minderheit.

Mei­stens ist die Mit­tel­schicht dar­auf aus, Ver­gnü­gen zu suchen und wenig dar­über hin­aus. Sie tun dies ent­we­der durch Kom­pro­mis­se und Schwei­gen, wenn sie etwas wach­sam sind, oder, wie es eher üblich ist, indem sie sich unbe­re­chen­bar und ver­wirrt ver­hal­ten, wie das Tau­zie­hen zwi­schen einem gesun­den Gefühl auf der einen Sei­te und bar­ba­ri­schen, gewalt­tä­ti­gen Gewohn­hei­ten auf der ande­ren Sei­te, die sie orga­nisch an die unter­stüt­zen­den Struk­tu­ren des Systems bin­den, zum Bei­spiel durch Ein­kauf ins gegen­wär­ti­ge Ban­ken-Finanz­aus­beu­tungs­sy­stem, „patrio­ti­sche Unter­stüt­zung“ des Krie­ges, impli­zi­ten Ras­sis­mus, Treue zur Oligarchie.

Am „Boden der Pyra­mi­de“, wie man sagt, sind die Leu­te zu beschäf­tigt, um über die Run­den zu kom­men: Sie haben kei­ne Zeit, Bücher zu lesen, Musik zu stu­die­ren, über Neu­ig­kei­ten zu dis­ku­tie­ren, sich Sor­gen um Syri­en zu machen oder die neue­ste Exege­se von Heid­eg­ger zu kom­men­tie­ren. Die Geschich­te von Hit­ler, 9/​11, die tie­fe­ren Mecha­nis­men des Ter­ro­ris­mus oder das Schick­sal von Dis­sens inter­es­sie­ren sie über­haupt nicht. Dies gilt, wie gesagt, auch für einen gro­ßen Teil der hedo­ni­sti­schen Mittelschicht.

Es ist rich­tig, dass in den 1960er Jah­ren bis Ende der 1970er Jah­re die Mit­tel­schicht Pro­test­be­we­gun­gen im uni­ver­sel­len Namen von sozia­ler Gerech­tig­keit und Frie­den initi­iert hat. Das war gut so. Und zu einem gro­ßen Teil schie­nen die­se Bewe­gun­gen echt gewe­sen zu sein. Das Estab­lish­ment war beunruhigt.

Die­se Bewe­gun­gen exi­stie­ren nicht mehr. Sie wur­den syste­ma­tisch besiegt. Einen Teil die­ser Geschich­te erzäh­le ich in mei­nem Buch Die Ideo­lo­gie der Tyran­nei.

Wenn Sie aller­dings genau­er hin­schau­en, wer­den Sie auch fest­stel­len, dass selbst all die­se Begei­ste­rungs­stür­me der Basis, die die 1960er Jah­re beflü­gelt haben, sehr cho­reo­gra­fiert wur­den. Neh­men Sie Viet­nam: Es war kein Zufall, dass die Men­schen gera­de 1968 mas­siv auf die Stra­ße gin­gen, um gegen den Krieg zu pro­te­stie­ren. Genau damals wuss­te der Appa­rat, dass der Krieg ver­lo­ren war. Das heißt, dass in unse­rem System nichts wirk­lich pas­siert, es sei denn, eini­ge Kom­po­nen­ten las­sen dies zu.

Es war leicht/​leichter, wäh­rend des Kal­ten Krie­ges zu „pro­te­stie­ren“. Damals war es ein­fach, eine abwei­chen­de Hal­tung ein­zu­neh­men, da die eta­blier­te Lin­ke bereits da war, um dir eine Büh­ne dafür zu bie­ten; alles war bezahlt wor­den. Es bedurf­te kei­nes Mutes, trot­zig zu sein. „Sie“ woll­ten, dass du es tust. Die poli­ti­sche Vor­la­ge für die Macht­aus­ein­an­der­set­zung war damals ein dicho­to­mer Ant­ago­nis­mus: Die bei­den „Sei­ten“ waren im Vor­aus fest­ge­legt. Du muss­test nur eine aus­wäh­len und „dage­gen sein". Dies war in Euro­pa offen­kun­dig. Wir Ita­lie­ner haben eine star­ke Erin­ne­rung dar­an, ins­be­son­de­re an die zehn Jah­re des laten­ten Bür­ger­kriegs und des Ter­ro­ris­mus in den 1970er Jah­ren; wir hat­ten die mäch­tig­ste kom­mu­ni­sti­sche Par­tei Europas.

Und in Euro­pa bil­den die Nach­kom­men jener ein­ge­fleisch­ten Kom­mu­ni­sten, die sich in den 1970er und 1980er Jah­ren so vehe­ment gegen den „US-Impe­ria­lis­mus“ aus­ge­spro­chen hat­ten, nun­mehr die enthu­sia­stisch­sten „Ame­ri­ka­ni­sten“ des Pla­ne­ten — alles „Libe­ra­le“: Sie waren die­je­ni­gen, die vor Rüh­rung wein­ten, als Oba­ma 2008 zum Prä­si­den­ten gewählt wur­de. So viel zur intel­lek­tu­el­len Bestän­dig­keit und zur „Kul­tur des Dissens“.

Als die­se Art von Thea­ter ihre Nütz­lich­keit aus­ge­schöpft hat­te, wur­de sie erneut ent­sorgt. Und der gan­ze „rote“ Appa­rat — einst so impo­sant und ein­drucks­voll — ver­schwand über Nacht, völ­lig laut­los. Und nun, sie­he da, geht nie­mand mehr irgend­wo auf die Stra­ße: Der poli­ti­sche Wil­le, das Geld und die gesell­schaft­li­chen Arran­ge­ments für die­sen Zweck sind nicht mehr da, um die kri­ti­sche Mas­sen für eine Fort­set­zung die­ser Art von Show zu unter­stüt­zen. Man muss wis­sen, dass zu jener Zeit die Mär­sche aus­schließ­lich den lin­ken Par­tei­en zugu­te­ka­men, nicht der sozia­len Gerech­tig­keit oder dem Frie­den. Es war größ­ten­teils künst­li­cher Dissens.

Der „Lin­ken“ wur­de die­ser Appa­rat weg­ge­nom­men. Jetzt ist sie nackt. Man kann sehen, was dar­aus gemacht wur­de: die übli­che Grup­pe von Bour­geois, die alles tut, was die Zahl­mei­ster der Ober­schicht von ihnen ver­lan­gen. Tat­säch­lich ist die Lin­ke heu­te voll­stän­dig auf die Platt­form der LBGT redu­ziert wor­den. Die „Lin­ke“ exi­stiert nicht, sie hat nie wirk­lich existiert.

Man könn­te dar­aus schlie­ßen, dass wir in die­ser Hin­sicht den Kreis zu einem trau­ri­gen Ende geschlos­sen haben. Aber wor­über kann man trau­rig sein? Und ich fra­ge mich: Gab es jemals ein gol­de­nes Zeit­al­ter des Diss­ents? Gab es eine ech­te Zeit des Ruhms von Mas­sen­be­wusst­sein und des Wider­stands gegen die Gei­ßel der Unge­rech­tig­keit und die Auf­recht­erhal­tung der Gewalt?

Ich den­ke nicht. Letzt­end­lich waren und sind die­je­ni­gen, die sich ver­ant­wor­tungs­be­wusst und bedin­gungs­los gegen Gewalt und Unge­rech­tig­keit gewandt haben, immer weni­ge und zer­split­tert. Ein­sa­me Wölfe.

Mög­li­cher­wei­se wird es sich ändern. Hoffentlich.


Quel­len und Anmerkungen:

(1) Gui­do Gia­co­mo Pre­pa­ra­ta, Con­ju­ring Hit­ler: How Bri­tain and Ame­ri­ca Made the Third Reich; deut­sche Aus­ga­be: Wer Hit­ler mäch­tig mach­te. Wie bri­tisch-ame­ri­ka­ni­sche Finanz­eli­ten dem Drit­ten Reich den Weg berei­te­ten, Per­seus-Ver­lag 2011. 
(2) Gui­do Gia­co­mo Pre­pa­ra­ta, The Ideo­lo­gy of Tyran­ny; deut­scher Aus­ga­be: Die Ideo­lo­gie der Tyran­nei. Neo­gno­sti­sche Mytho­lo­gie in der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik, Dun­cker & Hum­blot Ver­lag 2015.
(3) Gui­do Gia­co­mo Pre­pa­ra­ta, Tech­no-Struc­tu­re, Essay, http://guidopreparata.com/wp-content/uploads/2017/03/Techno-Structure-EN-Web-Prev.pdf

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Moh­sen Abdel­mou­men ist frei­er Jour­na­list. Er ver­öf­fent­lich­te in meh­re­ren alge­ri­schen Zei­tun­gen wie bei­spiels­wei­se Alger Répu­bli­cain und schreibt für ver­schie­de­ne Alter­na­ti­ve Medien.

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